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Home | Cucina Italiana | Caffè | Espressi im Tässchen gegen Frappuccini im Karton Italien droht Ungemach. Das kulinarische Hochland am Mittelmeer, die Wiege der abendländischen Kultur, sorgt sich um die Zukunft. Nicht etwa, weil erneut ein nervenaufreibender Regierungswechsel bevorstünde; daran hätte man sich längst gewöhnt. Weit schlimmer, es geht ums kulturelle Erbe. Genauer: ums höchste Gut des Italieners, den Kaffee, den heißgeliebten Espresso, den Macchiato, den Caffè latte, den man als täglich wiederholtes Ritual genussvoll jeweils im Stehen hinunterkippt. Dem gehe es nämlich ausgesprochen schlecht. Das sagt - ausgerechnet - ein Amerikaner. Howard Schultz, Chef und Gründer der US- Kaffeeladenkette Starbucks , prophezeit den Niedergang der italienischen Kaffeekultur. Rapide, so Schultz, sei in den vergangenen Jahren deren Qualität auf einen gefährlichen Tiefpunkt gesunken. Zu viele Kaffeebars mischten auf beiden Seiten der Apenninen und ganz im Süden des Landes inzwischen billige Robusta- unter die weitaus edleren Arabicabohnen. Die Folge davon sei ein dumpfes, ziemlich ungenießbares Gebräu. Stoppen könne die absehbare Degradierung Italiens zur koffeinhaltigen Einöde nur einer: Howard Schultz, zusammen mit seiner Firma Starbucks. Bald, verspricht der Amerikaner, werde er ganz Italien mitsamt der dazugehörigen vorgelagerten Inseln mit blitzsauberen Starbucks-Läden überschwemmen. Für viele Italiener ist das Ketzerei und Blasphemie in einem. Denn: Starbucks - das ist McDonalds für Kaffeetrinker, eine amerikanische Fast-Food-Kette, die am Fliessband gefertigte kaffeehaltige Getränke verkauft. Die heißen - für Kaffeeliebhaber eher kryptisch anmutend - Frappuccino, Iced Americano oder Tall Decaf Latte. Auch Espresso und Cappuccino sind auf dem Starbucks-Menu aufgeführt. Serviert werden die Getränke in weißgrünen Kartonbechern - Kartonbecher, nicht Porzellangeschirr - von grünbeschürzten jungen und netten Leuten. Nicht im Stehen oder Sitzen, beim Gehen oder Autofahren wird der Kaffee hernach hauptsächlich getrunken. Wer sich durchs vermeintlich vielfältige Angebot trinkt, wird, etwas frustriert, eines feststellen: Ob Frappuccino oder Tall Latte: im Grunde schmeckt alles gleich - nach zu dunkel geröstetem Kaffee, dessen bitterer Nachgeschmack mit reichlich Milch übertüncht wird. Versteht man in Italien unter einem Cappuccino einen Espresso mit etwas Milchschaum, so wird bei Starbucks - wie überhaupt in den USA - ein bisschen Kaffee unter eine Tasse heißer Milch gemischt. Trotzdem gehört Starbucks zu den erfolgreichsten Unternehmen der neunziger Jahre. Ein Marketingwunder, zu vergleichen höchstens mit dessen eigenem Vorbild, dem Hamburgerbrater McDonalds. Keine zweihundert Meter brauchen etwa die New Yorker im Finanzbezirk von einem zum nächsten Starbucks zu gehen - es hat an jeder Ecke einen. In Köln gibt es Starbucks erst an einer Ecke - am Friesenplatz. Notabene nach einer Italienreise begann Howard Schultz als Zwanzigjähriger an der US- Westküste in Seattle 1983 Kaffeebohnen und Kaffeemaschinen zu verkaufen. Hernach überflutete er die USA von Arkansas bis Connecticut, von Chicago bis San Diego mit Tausenden von Cafés, alle mit demselben sterilen Interieur versehen, mit Papiergeschirr und einer Verkleidung aus artifiziellem Holz. Dank Starbucks hörten viele Amerikaner, sonst an dünnen, im besten Fall geschmacksneutralen Filterkaffee gewohnt, erstmals europäisch anmutende Namen wie Cappuccino oder Espresso. Binnen kurzer Zeit verlieh Schultz den Amerikanern ein bisschen von dem, woran es ihnen an allen Ecken und Enden mangelt: gepflegte Alltagskultur. Bei Starbucks konnte man lange sitzen, die Zeitung lesen und bei klassischer Musik Kaffee trinken, als sei's irgendwo in einer europäischen Altstadt - zumindest versprach dies das ausgeklügelte Marketingkonzept von Starbucks. Gleichwohl: Bakterienarm und befreit von historisch gewachsenem Charme, kam Starbucks trotz italienischen Ausdrücken nie über die Möchtegern-Italianità hinaus. Die Amerikaner kümmert das wenig. Sie strömen in Scharen zu Starbucks und bescherten der Firma 1998 einen Umsatz von über einer Milliarde Dollar. Der Aktienkurs verdoppelte sich im vergangenen Jahr. International zu Berühmtheit kam der Konzern wegen Football-Star O. J. Simpson. Dessen angeblich von ihm getötete Ehefrau verbrachte mehr Zeit bei Starbucks als am Herd im trauten Heim - was Simpsons Anwälte prompt als Grund für das Scheitern der Beziehung anbrachten. Heute wird an jedem Arbeitstag eine Starbucks-Filiale eröffnet, hauptsächlich in den USA, Großbritannien - und vor allem in Asien. Trotz wirtschaftlicher Schwäche verehren die Japaner nach wie vor alles Amerikanische, Starbucks beinahe religiös. Weltweit trinken schätzungsweise sieben Millionen Menschen wöchentlich in den rund 2000 Starbucks-Läden. Zuwenig, meint Howard Schultz. Jetzt sei es an der Zeit, den «Mount Everest, den höchsten aller Berge, zu erklimmen». Schultz will nach Italien, an den Quell seiner Inspiration. Innert Jahresfrist sollen in den pittoresken Stadtzentren von Rom, Florenz oder Siena fluoreszierende und plastikbestuhlte Starbucks-Läden aufgehen, geplant, koordiniert und beliefert von der europäischen Starbucks-Zentrale in London. Dann werden in Italien grünbeschürzte und nett lächelnde junge Leute Frappuccini und Americani ausschenken - in dickwandigen Kartonbechern, bedruckt mit der Schadenersatzklagen vorbeugenden Aufschrift: «Vorsicht, Sie sind daran, ein extrem heißes Getränk zu genießen.» Schließlich könnte man sich an der dunklen Brühe Zunge und Gaumen verbrennen. Natürlich kann man wählen zwischen voll- und halbfetter sowie fettfreier Milch. Starbucks - ausgerechnet in Italien, dem unerreichten Fabelland des caffè. Dorthin, wo in mindestens hundertfünfzigtausend meist alteingesessenen Bars täglich 83 Millionen Espressi getrunken werden; wo man in keiner Stadt weiter als fünfzig Meter gehen muss, um das lustvolle Zischen einer Cimbali und das dazugehörige Schwadronieren des Barista zu hören, der die Espressomaschine schwungvoll anrührt; wo der Caffè corretto mit einem Gutsch Grappa korrigiert wird; wo angeblich in jeder Kaffeebohne fünfzehnhundert Geschmäcker versteckt sind, die nur dann zur Geltung kommen, wenn man beim Kaffeebrauen alles richtig macht; wo am Ende des sechzehnten Jahrhunderts Papst Clemens VIII. dem Kaffee seinen Segen gab und dessen Konsum ausdrücklich allen, «auch den niedrigen» Gesellschaftsschichten erlaubte. 6,8 Gramm Kaffee benötigt nach italienischer Rezeptur der perfekte Espresso. Dreizehn Variablen, etwa die Kaffeesorte, das Wasser, die Mühle, die Temperatur des Wassers oder die Kraft, mit der das Wasser durch den Kaffee getrieben wird, bestimmen den Geschmack. «Es ist wie eine Sinfonie», sagte Andrea Illy, der Präsident des alteingesessenen italienischen Kaffeehauses Illycaffè in einem Interview. «Es ist unmöglich, alles richtig zu machen.» Schon gar nicht könnten das die Amerikaner. In den USA ist Kaffee ein warmes Getränk. «Niemand trinkt in Italien viel Milch zum Kaffee», sagt Illy, «Milch ist "brutto"», Dreck. Italiener nippen ihre Espressi. Amerikaner trinken den Kaffee literweise. In den USA zählt schiere Größe, große Häuser, große Autos, große Steaks - und große Tassen Kaffee. Die Welt, sagt Andrea Illy, lasse sich in zwei Sorten Menschen einteilen: «In Espressotrinker und andere Menschen: Wir Italiener sind Espressotrinker - Amerikaner sind andere Menschen.» Neue Zürcher Zeitung , Lebensart, von Peter Hossli Noch mehr zum Thema "Caffè":
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